ASS – die neue Wunderwaffe gegen Krebs?

Aspirin hat sich über viele Jahre hinweg als Schmerzmittel bewährt. Der Wirkstoff ASS (Acetylsalicylsäure) wirkt gut gegen leichte bis mittelstarke Schmerzen. Eine neue Studie der University of Oxford zeigt, dass Aspirin auch das Krebsrisiko verringert.

Aspirin – oder vielmehr sein Wirkstoff Acetylsalicylsäure – wird schon lange eingesetzt, um die Fließeigenschaften des Blutes zu verbessern. Patienten mit erhöhtem Risiko auf Herzinfarkt oder Schlaganfall erhalten deshalb langfristig niedrig dosiertes ASS (Acetylsalicylsäure).

Der Neurologe Peter Rothwell und seine britischen Kollegen an der University of Oxford stellten nun in einer Studie fest, dass solch eine Langzeittherapie mit niedrig dosiertem Aspirin auch zur Verringerung des Krebsrisikos beitragen kann. Rothwell zeigt in seiner Statistik, dass jährlich mehr als 20.000 Krebstote in Deutschland vermieden werden könnten, wenn jeder Bundesbürger täglich für viele Jahre ASS schlucken würde.

Ob eine derartige Vorbeugung sinnvoll ist, bleibt noch offen. Die Fakten der britischen Wissenschaftler beruhen auf einer Neuauswertung von acht Studien mit insgesamt 25.570 Teilnehmern. Darin wurde Ende der siebziger Jahre untersucht, ob ASS im Vergleich mit einem Placebo Herzinfarkte und Schlaganfälle verhüten kann. An eine Wirkung auf das Krebsrisiko hatte damals noch niemand gedacht.
Rothwells Forscherteam verglich nun anhand von Sterberegistern die Krebssterblichkeit der mit Aspirin oder mit einem Placebo behandelten damaligen Studienteilnehmer. Ihre verblüffenden Erkenntnisse wurden am 07.12.2010 im Fachblatt „The Lancet“ veröffentlicht. Das Krebstodrisiko der Aspirin-Anwender sank innerhalb von zwanzig Jahren nach dem Beginn der Einnahme um zwanzig Prozent. Die schützende Wirkung stieg sowohl mit dem Alter als auch mit der Dauer der Einnahme. Bei einer Einnahme von mehr als fünf Jahren sank das Krebstodrisiko rechnerisch um mehr als 30 Prozent.
Der Krebsepidemiologe Nikolaus Becker vom Deutschen Krebsforschungszentrum warnt jedoch vor allzu großer Euphorie, da die neu ausgewerteten Studien nicht mit dem Ziel der Krebsprävention geplant waren.
Im Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg ist man begeistert. Die Leiterin der Abteilung Präventive Onkologie, Cornelia Ulrich, hält Rothwells Studie für das Beste, was es zur Frage der Krebsvorbeugung momentan gibt. Die Zahlen, die die britischen Wissenschaftler errechneten sind tatsächlich positiv. Das Sterberisiko sank zwischen 30 und 60 Prozent. Sogar für Prostatakrebs und Hirntumore sank die Sterblichkeitsrate. ASS wirkt allerdings nur als Schutz bei soliden Tumoren, jedoch nicht bei Blutkrebsarten.

Kritik an der ASS-Studie

Kritiker der Studie geben zu bedenken, dass die Studie ursprünglich nur die Auswirkungen von ASS auf das Herzrisiko ermitteln sollte. Unbeachtet blieb, ob die Teilnehmer Faktoren für eine erhöhte Krebsgefahr aufwiesen, beispielsweise eine familiäre Vorbelastung. Ebenso bezweifeln die Kritiker, dass vier Jahre Nachbeobachtung für langfristige Rückschlüsse auf die Krebsgefahr ausreichen.
Misstrauen herrscht auch gegenüber der Objektivität der Autoren des Lancet-Artikels. Sechs der sieben Autoren erhielten in der Vergangenheit Honorare von Pharmaunternehmen, die ASS oder verwandte Medikamente produzieren.

Wirkung von ASS

ASS oder Aspirin gehört zu den nichtsteroidalen Entzündungshemmern. Es blockiert zwei bestimmte Enzyme (Cox-1 und Cox-2). Dadurch verringert sich die Gerinnungsfunktion der Blutplättchen und führt zu einer blutverdünnenden Wirkung. Die beiden Enzyme Cox-1 und Cox-2 sind auch an der Produktion von Prostaglandinen beteiligt. Diese hormonartigen Stoffe steuern Entzündungen im Körper. Durch die Blockade dieser Enzyme werden also Entzündungen reduziert. Diese Entzündungshemmung in Kombination mit der blutverdünnenden Wirkung senkt bei Risikopatienten die Gefahr von Herzinfarkt und Schlaganfall. Eine Dosis von 75 bis 100 Milligramm ASS täglich ist dafür schon ausreichend.
Für eine krebshemmende Wirkung muss die Dosis nach bisherigen Erkenntnissen größer als 50 Milligramm pro Tag sein. 300 Milligramm haben keinen höheren Effekt mehr. Die optimale Dosierung muss in zukünftigen Untersuchungen geklärt werden.

Wirkung von ASS auf Krebszellen

Forscher wissen durch Versuche an Tieren und Zellkulturen, dass die Cox-Enzyme das Überleben und die Vermehrung von Krebszellen fördern. Sie werden schon in frühen Tumorstadien vermehrt gebildet. Dadurch wird die Produktion der entzündungsfördernden Prostaglandine erhöht. Prostaglandine erleichtern die Ausbreitung der Krebszellen im Gewebe und die Metastasenbildung im Körper. Prostaglandine unterstützen auch das Wachstum von Blutgefäßen im Tumor. Durch die Blockade der Cox-Enzyme kann ASS diese Effekte verhindern.

ASS kann Nebenwirkungen haben

Nichtsteroidale Entzündungshemmer wie Aspirin können natürlich gefährliche Nebenwirkungen haben. Besonders bei hohen Dosen und Einnahme über lange Zeit kann es zu Entzündungen und Geschwüren der Magenschleimhaut und zu Magenblutungen kommen. Sogar lebensbedrohliche Darm- und Hirnblutungen sind wegen der blutverdünnenden Wirkung möglich.
Durch niedrige Dosierung von ASS reduzieren sich diese Gefahren allgemein. Trotzdem sind Nebenwirkungen nicht völlig auszuschließen. Der Wirkstoff ASS wird individuell verschieden von der Leber verarbeitet und ausgeschieden. Reaktionen auf ASS sind daher sehr unterschiedlich. Die Onkologin Cornelia Ulrich aus Heidelberg stellte weiterhin bei eigenen Studien fest, dass ASS nicht bei jedem eine krebsschützende Wirkung entfaltet.

ASS-Prävention – Nutzen und Risiko abwägen

ASS sollte nicht einfach zur Vorbeugung eingenommen werden. Experten raten von einer Selbsttherapie mit ASS ausdrücklich ab. Der individuelle Nutzen muss immer in Absprache mit einem Arzt bestimmt werden. Dafür ist das Risiko auf schwerwiegende Nebenwirkungen beim gesunden Menschen mit normalem Krebsrisiko zu groß.
Für Menschen mit einem erhöhten Krebsrisiko, beispielsweise aufgrund genetischer Faktoren, kann eine Einnahme von ASS sinnvoll sein. Auch bei bestehenden Darmpolypen kann mit ASS vorgebeugt werden, um die Gefahr von Darmkrebs zu reduzieren. Das Deutsche Krebsforschungszentrum arbeitet an Verfahren, um Nutzen und Risiken von ASS besser kalkulierbar zu machen. Glück haben Patienten, die schon mit ASS zur Vorbeugung gegen Herzinfarkt und Schlaganfall behandelt werden: sie können sich über zusätzlichen Schutz freuen.

Quellen: PM Rothwell and others. Effect of daily aspirin on long-term risk of death due to cancer: analysis of individual patient data from randomised trials. Lancet 2010; 376: 10.1016/S0140-6736(10)62110-1

Bitte beachten Sie, dass dieser Artikel generell fachlichen Rat – zum Beispiel durch einen Arzt – nicht ersetzen kann.

Werbung

Aspirin hat eine positive Wirkung bei Tests zur Darmkrebsfrüherkennung

Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Früherkennung von Darmkrebs ist die Untersuchung auf verborgenes (okkultes) Blut im Stuhl. Bisher fürchteten Ärzte, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung verfälscht werden könnten, wenn der Patient Aspirin einnimmt.

Aspirin, beziehungsweise der Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS), wird in niedrigen Dosierungen häufig zur Verbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen verordnet. Dies betrifft natürlich vor allem Risikogruppen wie Diabetiker und Bluthochdruckpatienten.
Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum konnten in einer Studie mit 2000 Teilnehmern nachweisen, dass eher das Gegenteil zutrifft. Bei den Studienteilnehmern verbesserte sich sogar die Empfindlichkeit immunologischer Stuhltests unter der Einnahme von Aspirin.

In Deutschland werden jedes Jahr etwa 73.000 neue Fälle von Darmkrebs diagnostiziert. Ein Großteil davon ließe sich durch entsprechende Früherkennung vermeiden. Denn werden Krebsvorstufen frühzeitig erkannt und entfernt, kommt die Krebserkrankung in der Regel nicht zum Ausbruch. Zu den Krebsvorstufen gehören auch zunächst gutartige Darmpolypen. Diese Schleimhautwucherungen haben eine hohe Neigung zur bösartigen Entartung. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung hat Darmpolypen. Bei der Entstehung spielen genetische Faktoren, Alter und Lebens- und Ernährungsweise ein Rolle.

Der Test auf okkultes Blut im Stuhl ist bei der Früherkennung immer noch das Mittel der ersten Wahl. Hierbei gibt es inzwischen neuere Testverfahren, die Blutbestandteile auf immunologischer Basis mit Antikörpern nachweisen. Sie gelten als zukunftsweisend und sollen sicherere Ergebnisse bringen.
In Deutschland wird die Untersuchung auf okkultes Blut im Stuhl für Personen ab 50 Jahre empfohlen. Gerade in dieser Altersgruppe befinden sich jedoch häufig Patienten, die niedrig dosiertes Aspirin einnehmen.
Es ist bekannt, dass Aspirin die Blutungsneigung im Magen-Darmtrakt erhöht. Deswegen befürchteten Mediziner bis jetzt, dass dadurch falsche Ergebnisse bei den Stuhltests entstehen könnten. Es wäre möglich, dass die Tests auf Blut reagieren, das nicht aus Krebsvorstufen stammt. Dies würde weitere Untersuchungen nach sich ziehen, die eventuell unnötig sind.
Auf der anderen Seite wäre es denkbar, dass Aspirin auch die Blutungsneigung von Krebsvorstufen erhöht. Das würde eine Diagnose erleichtern und beschleunigen.

Um den Einfluss von Aspirin definitiv zu ermitteln, führte das Deutsche Krebsforschungszentrum eine Studie mit etwa 2000 Teilnehmern durch. Diese Gruppe hatte sich zwischen 2005 und 2009 einer Früherkennungs-Darmspiegelung unterzogen. 233 Teilnehmer gaben im Vorfeld an, regelmäßig niedrig dosiertes Aspirin einzunehmen. Anhand dieser Zahl wird deutlich, wie groß die Gruppe der Patienten ist, die Aspirin zur Vorbeugung von Komplikationen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen anwendet. Eine mögliche Verfälschung der Testergebnisse würde deshalb ein ernstzunehmendes Problem bei der Darmkrebsfrüherkennung darstellen.
Bei den Studienteilnehmern wurden neben der Darmspiegelung zwei verschiedene immunologische Tests auf verstecktes Blut im Stuhl durchgeführt. Die Testergebnisse wurden mit den Ergebnissen der Darmspiegelung abgeglichen. Zurzeit gilt die Darmspiegelung immer noch als sicherstes Verfahren zur Diagnose von Darmkrebs oder Krebsvorstufen.

Das Ergebnis bei der Darmspiegelung war, dass es keinen Unterschied zwischen Aspirin-Anwendern und Nichtanwendern gab hinsichtlich der Häufigkeit von fortgeschrittenen Krebsvorstufen.
Überraschende Ergebnisse brachten die immunologischen Bluttests. Bei den Aspirin-Nutzern wurden tatsächlich vorhandene Krebsvorstufen fast doppelt so häufig aufgespürt wie bei Nichtnutzern. Gleichzeitig gab es nur unwesentlich öfter „falschen Alarm“.
Bei den Aspirin-Anwendern war die Empfindlichkeit des Stuhltests sogar so hoch, dass er fast die Sicherheit einer „kleinen Darmspiegelung“ (Sigmoidoskopie) erreichte.
Die Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Dr. Hermann Brenner und Dr. Ulrike Haug überlegen nun, ob eine kurzzeitige Einnahme von Aspirin die Resultate von Früherkennungs-Stuhltests verbessern könnte.

Das Früherkennungsprogramm der deutschen Krankenversicherungen beinhaltet ab einem Alter von 50 Jahren einen Test auf okkultes Blut im Stuhl. Erstattet wird jedoch nur der enzymatische, und nicht der immunologische Test, der in der Studie verwendet wurde. Ab dem 55. Lebensjahr haben Versicherte das Recht auf eine Darmspiegelung zur Früherkennung von Darmkrebs. Hat diese Erstuntersuchung vor dem 65. Lebensjahr stattgefunden, hat der Versicherte Anspruch auf eine weitere Darmspiegelung nach zehn Jahren.

Quellen: http://www.dkfz.de
Weiterführende Informationen: Hermann Brenner, Sha Tao und Ulrike Haug: Low dose Aspirin Use and Performance of Immunochemical Fecal Occult Blood Tests. Journal of the American Medical Association, 8. Dezember 2010, Band 304, Seite 2513-2520.

Bitte beachten Sie, dass dieser Artikel generell fachlichen Rat – zum Beispiel durch einen Arzt – nicht ersetzen kann.